Mittwoch, 17. Dezember 2008

                                                               Die achte Sitzung

Erwartungshaltung

Das Thema dieser Sitzung war das Lernen durch Schreiben, insbesondere bezogen auf das Führen von Lerntagebüchern. Ich führe nun seit Anfang des Semesters dieses „Lerntagebuch“ und bin leider noch nicht ganz restlos von dessen Effekt auf meinen Lernfortschritt überzeugt. Meine Erwartungshaltung zu Anfang der Sitzung war dementsprechend hoch: ich war ebenso auf die Theorie gespannt wie auf die Frage nach den Vor- und Nachteilen dieser Methode generell und auf die Schulpraxis bezogen. 

Lernen durch Schreiben mit Neuen Medien

Fragebogen

Zu Beginn der Sitzung wurden wir von den Referentinnen dazu aufgefordert, einen Fragebogen bezüglich unserer Handhabung und Erfahrung mit den Lerntagebüchern auszufüllen. Die Ergebnisse der Umfrage wurden während des Theorieteils ausgewertet und später in der Sitzung präsentiert.

Der Fragebogen hat mich überrascht! Insbesondere die Fokussierung auf die Vorbereitung und Vorgehensweise beim Schreiben und die Rolle, die die Bewertungskriterien dabei spielen, empfand ich als gelungen. Diese Fragestellung deckt Schwachpunkte der Lerntagebuchweblogs auf, auf die ich später im Fazit nochmals eingehen werde.

Strong-Text-View of Writing-to-learn-Writing-as-Problem-Solving-View - Theorien

Die Theorie des Lernens durch Schreiben wurde hernach anhand zweier Theorien erläutert, der „Strong-Text-View of Writing-to-learn“ – Theorie und der „Writing-as-Problem-Solving-View“ –Theorie. Erstere beschreibt den Lerneffekt, der sich einstellt, wenn man Wissen versprachlicht (verschriftlicht), die zweite den Prozess der Umstrukturierung des Wissens, der dazu dient, dieses in eine bestimmte Textform zu bringen. 
Diese Prozesse unterstützen das Selbstgesteuerte Lernen, das in den Schritten „Lernziele setzen -> Strategie wählen -> Lernprozess überwachen“ vonstatten geht.

Den Theorieteil hätte ich ohne das Handout nicht klar wiedergeben können. Leider gab es während des Vortrages keinen Leitfaden, den ich mir insbesondere für die beiden Theorien gewünscht hätte. So kann man an meinem und auch an anderen Tagebucheinträgen deutlich ersehen, dass sie der Struktur des Handouts bei der Rekapitulation folgen. Seltsam finde ich retrospektiv die Trennung beider Theorien – vielleicht ist das im Vortrag anders gehandhabt worden, das Handout aber suggeriert eine Art Entweder – oder – Verhältnis, obwohl ich doch annehme, dass diese Effekte sich gar nicht gegenseitig ausschließen? 

Des Weiteren wurde auf die verschiedenen Formen von Lerntagebüchern eingegangen. Um das Ideal des Schreibprozesses zu ermöglichen, in dem der Schreiber den Lernstoff zunächst organisiert, dann elaboriert, später reflektiert und schließlich reguliert, sollte man die Vorgaben (Prompts) sukzessiv reduzieren und die Eigenregulation des Schreibers anregen. 

Die Vor – und Nachteile des Schreibens der Lerntagebücher, die wir danach diskutierten, sind nahezu identisch mit den Vor- und Nachteilen, die wir im Seminar jeder neuen Methode im Vergleich „Modernes Medium“ vs. „Handarbeit“ unterstellen. Ein herausragender Aspekt dabei war aber der der Bewertbarkeit der Lerntagebücher. Hierzu gehe ich in meinem Fazit näher ein.

Gruppenarbeit

In der folgenden Übung wurden wir aufgefordert, die Lerntagebücher auf ihren Nutzen in unseren Schulfächern hin zu untersuchen. Schon zu Beginn der Stunde wurden wir tischweise mit Kommilitonen ähnlicher Fachwissenschaften zusammengesetzt. Hier sollten wir nun überlegen, ob und wie wir in unseren Fächern Lerntagebücher führen würden.

Ich saß mit 3 Kommilitonen an dem Tisch „Sprachwissenschaft“, womit hier der Sprachunterricht gemeint war. Zunächst haben wir Teilaspekte des Sprachunterrichtes selektiv auf ihre Eignung für LTB hin untersucht; hierbei ergab sich, dass uns der Bereich Literatur im Prinzip als der einzige erschien, in dem wir das LTB anwenden würden. Andere Bereiche wie die Grammatik oder Lexik sind nämlich für den Schulunterricht längst durch eine strukturierte, didaktische Reduktion in winzige Bestandteile aufgebrochen worden. Ein Lerntagebuch eignet sich aber unserer Meinung nach eher für längere Lehrinhalte, da in ihnen der Lernprozess besser verfolgt werden kann. Wenn ein längeres Buch gelesen würde, könnten einzelne Kapitel gut in LTB rekapituliert und zusammengefasst werden, für jüngere Jahrgänge eignet sich hierfür besonders das standardisierte LTB.

Die verschiedenen Fachgruppen stellten nach der Arbeitsphase ihre Ergebnisse vor und äußerten Chancen und Risiken der LTB, die sie in den Gruppen erarbeitet hatten. Es folgte die Auswertung der zu Anfang der Stunde gehaltenen Umfrage. 

Ich lag mit fast all meinen Antworten im Mittelfeld. 

Es folgte eine längere Diskussion über Nutzen und Nachteile der LTB und die Frage, inwiefern sie für die Schulpraxis nützlich sind.

Soweit ich mich erinnere, hat die Mehrzahl der Kursteilnehmer eher bezweifelt, dass sie die LTB in der Schule einsetzen würden. Die Gründe hierfür sind verschieden: einerseits eignen sich die LTB nicht für alle Lehrinhalte. Das Erstellen ist aufwändig und kostet Zeit; in Anbetracht der Tatsache, das die Schüler eine Vielzahl an Fächern unterrichtet bekommen, ist es problematisch, mehr als ein TLB zur gleichen Zeit führen zu lassen. Auch kann kein Lehrer für seinen Unterricht exklusiv beanspruchen, dass ein so großer Teil der Hausaufgabenzeit für die LTB eines Faches verwandt wird. 

Der wichtigste Kritikpunkt ist aber der Umstand, dass der Lehrer die LTB bewerten muss.

Fazit

Dieser Kritikpunkt ist in der Tat ein besonders gewichtiger. Alle Kursteilnehmer, die ein LTB führen, können empirisch nachvollziehen, dass die spätere Benotung der Blogs einen nicht unerheblichen Einfluss bereits auf das Verfassen der Einträge ausübt. Die Umfrage hat ergeben, dass ziemlich alle Teilnehmer die Bewertungskriterien gelesen haben, teilweise regelmäßig lesen und einigermaßen im Kopf haben. Nun hat es mit diesen Kriterien eine besondere Bewandtnis: Gemäß der Theorie, die im Referat vorgestellt wurde, kann man grundsätzlich zwischen zwei Formen der LTB unterscheiden, die natürlich auch im Bezug auf ihre Bewertbarkeit unterschiedlich sind: den standardisierten und den offenen LTBs. Wenn man eine Art Fragebogen zu jeder Stunde ausfüllen ließe, wäre der Zweck offensichtlich: die Fragen können nur beantwortet werden, wenn man sich den Lernstoff angeeignet hat. Insofern ist diese Form des LTB geradezu prädestiniert für die Bewertung und Überprüfung. Nicht so die offene Form des LTB: hier soll dem Schreiber nicht durch vorgegebene Prompts, sondern durch eigenständige Organisation, Elaboration, Monitoring und Regulation ein Selbstgesteuertes Lernen ermöglicht werden. Das Selbstgesteuerte Lernen ist dabei höchst subjektiv und auf den Lernzweck hin gerichtet – weniger aber objektiv durch vorangestellte Kriterien bewertbar. 
Dabei ist zu beachten, dass die Bewertungskriterien nicht etwa eine kleine Hilfestellung darstellen, vielmehr sind sie ein Superprompt, der dem gesamten LTB eine bestimmte Richtung gibt. Die Endnote baumelt wie ein Damoklesschwert über den Häuptern der Lerntagebuchschreiber, die sich weniger auf ihren wirklichen Lernfortschritt als auf ein präsentables Ergebnis konzentrieren. 
Diese Annahme wird unterstützt durch die LTB der Teilnehmer selbst: Misst man diese anhand der Bewertungskriterien, stellt man verblüfft fest, dass nahezu alle Teilnehmer die Erwartungen bei Weitem übertreffen! 500 Wörter? Dass ich nicht lache! Ich habe zu diesem Zeitpunkt bereits mehr als das Doppelte in diesem Eintrag! Ein reichlich merkwürdiges Betragen, zumal es der Zeitplan eines Masterstudenten nicht eben einfach machen sollte, so haushoch über die Anforderungen hinaus Leistungen zu erbringen. Dies wird erklärt (alle haben ja die Kriterien gelesen) durch den Schlusssatz: „Je mehr "Punkte" Sie erreichen, umso besser wird die Note, die Sie für das Seminar erhalten - also strengen Sie sich an […]“. 

Ich möchte an dieser Stelle keinem Kollegen etwas unterstellen, sondern schreibe aus eigener Erfahrung. Und wenn ich ganz ehrlich sein soll, dann muss ich zugeben, dass dieses LTB ohne den Notendruck ganz anders aussehen würde. Wenn das aber stimmt, dann schreibe ich dieses LTB gar nicht für mich, für meinen individuellen Lernprozess, sondern eigentlich für Frau Hilbert. Und wenn das stimmt, dann ist es im Prinzip bald gar kein Lerntagebuch zu nennen.

Ich habe vollstes Verständnis für die missliche Lage von Frau Hilbert, nämlich am Ende des Seminars Noten vergeben zu müssen – ich würde das nicht gerne tun. 

Ich darf auf der anderen Seite nicht unerwähnt lassen, dass das Neue-Medien-Seminar dasjenige ist, das für mich in diesem Semester am eindrücklichsten ist. Vielleicht ist das ein unterbewusster Learning-by-writing- Effekt?


1 Kommentar:

tatjana_h hat gesagt…

Herr Meyer,
Sie haben so gute Lernprotokolle geschrieben - auch wenn Sie vom Lernerfolg nicht sehr überzeugt waren - aber warum haben Sie damit aufgehört?
Viele Grüße,
Tatjana Hilbert