Donnerstag, 22. Januar 2009

                                                              Die elfte Sitzung

Erwartungshaltung


Ich muss gestehen, dass ich nicht wirklich so etwas wie eine Erwartung an diese Sitzung gestellt hatte. ich musste mich also davon überraschen lassen, was genau mit dem „netzbasierten kooperativen Lernen“ gemeint ist und inwiefern das für den Unterricht gebraucht werden kann. 

Netzbasiertes kooperatives Lernen

Zu Anfang der Sitzung wurde das kooperative Lernen definiert. Durch die zunehmende Ausdifferenzierung der Wirklichkeit und die Spezialisierung der Methoden und Wissenschaften gibt es das Universalgenie nicht mehr. Schüler sollen deshalb die Kompetenz erlangen, selbstgesteuert zu lernen. „Kooperatives Lernen bezeichnet einen sozialen Prozess, in dem die Mitglieder einer Gruppe in wechselseitigen Austausch Kenntnisse und Fertigkeiten erwerben. Dabei sind alle Mitglieder im Lerngeschehen beteiligt und tragen gemeinsam Verantwortung.“ Die Vor- und Nachteile de kooperativen Lernens wurden besprochen, wobei Wert darauf gelegt wurde, dass die positive Wirkung abhängig ist von einer klaren Strukturierung und Anleitung, also gewissermaßen von einer Kooperatives-Lernen-Kompetenz. Diese zu vermitteln ist Aufgabe des Lehrers. 

Mit dem kooperativen Lernen an sich habe ich schon sehr viele gute Erfahrungen gemacht, und zwar in mehrerer Hinsicht. So habe ich beispielsweise in Referatsgruppen sehr davon profitiert, dass sich die Teilnehmer in ihrem jeweiligen Fachbereich „spezialisiert“ haben, um hernach den Rest der Gruppe auf einen gemeinsamen Wissensstand zu bringen. Ebenso empfinde ich gemeinsames Lernen für Prüfungen sinnvoll, nicht zuletzt durch den „Lernzwang“, der aus der Verantwortung der Gruppe gegenüber entsteht.

Netzbasierte Szenarien

Das Kooperative Lernen ist an sich nichts Neues, die neuen Möglichkeiten im Unterricht ergeben sich durch die Verknüpfung mit einem elektronischen Netzwerk. Die Vorteile des netzbasierten kooperatives Lernen klingen einleuchtend: „hohe Editierbarkeit, gute Dokumentation, Wiederverwertbarkeit von und Zurückgreifen auf Inhalte, problemlose one-to-many- und one-to-one-Kommunikation, problemlose und leichtere Gruppenorganisation“. 

Diese Vorteile sind sattsam bekannt. Gerade als Student ist man mit den Segnungen des Internets vertraut, insbesondere die Schnelligkeit und Reichweite ist äußerst praktisch. Dass ich mein Lerntagebuch bequem vom Schreintisch aus schreiben und als Prüfungsleistung einreichen kann, ist noch ein geringes Beispiel der vielen Möglichkeiten, die sich durch das Internet ergeben.

Soziale Präsenz & Cognitive Overload

Es folgte ein sehr theoretischer Teil über die soziale Präsenz des Teilnehmers an dem NKL. In 4 verschiedenen Ansätzen wurden die Aspekte beschrieben, um die sich die Rolle des Einzelnen in der Kommunikation im Netzwerk von der „normalen“ intersubjektiven und unmittelbaren Kommunikation unterscheiden. Dabei scheinen die Modelle aufeinander aufzubauen: Das Kanalreduktionsmodell stellt bei dem NKL einen starken Aufgabenbezug her, das Das SIDE-Modell (Social identity and de-individuation) behauptet, dass eine Gruppenidentität innerhalb des Raumes des NKL den Lernerfolg fördere, im Modell der reduzierten sozialen Hinweisreize wird die Gleichheit der Teilnehmer gelobt wobei das Feedback wieder das Individuum in den Blick bekommt, was bei dem NKL nicht fehlen sollte.

Ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich die Abgrenzung zwischen den Modellen als etwas konstruiert empfinde und die Namen der „Modelle“ etwas zu großspurig dafür, dass sie offenbar ganz einfache Phänomene der netzwerkbasierten Kommunikation beschreiben. Hm.

Im Anschluss folgte eine Warnung vor einem alten Bekannten des Seminars: dem cognitive overload. 

Ich glaube, dass ein Risiko des NKL darin begründet liegt, dass die Schüler zunächst einen eher phänomenologischen Zugang dazu finden und das NKL dann nicht ernst nehmen. Um von den wirklichen Stärken des NKL zu profitieren, müssten daher zum Beispiel „strenge Kommunikations- und Interaktionsregeln zur Bestimmung von Gruppen- und deren Dialogverhalten“ aufgestellt werden. Der Lehrer erfüllt außerdem eine Organisations- und Administrationsfunktion, eine Motivationsfunktion, eine Vermittlungsfunktion und eine Expertenfunktion – Ansprüche, die das NKL wohl nur den wenigsten Schulklassen vorbehalten. 

www.knowledgeforum.com

Im Praxistest haben wir ein Internetforum besucht, das auf dem Prinzip des NKL basiert. In diesem können Teilnehmer verschiedener Bildungseinrichtungen (nach Niveau gestaffelt von Schule bis Hochschule) Threads initiieren, indem sie Fragestellungen oder Thesen veröffentlichen, worauf dann Bezug genommen wird.

Ich habe oben wichtige Kriterien genannt, die die Arbeit mit dem NKL meiner Meinung nach erheblich einschränken. Anhand des Beispieles wurde gezeigt, dass diese Hürden in der Tat schwierig zu meistern sind: neben einer allgemein als unübersichtlich und unansehnlich empfundenen Benutzeroberfläche sind in dem Forum eben jene genannten Probleme aufgetreten: die Teilnehmer identifizierten sich mitnichten mir der Gruppe, sondern gaben über sie Maßen individuelle Statements ab, wodurch sie sich teilweise disqualifizierten. Der Teilnehmer, der den so genannten „hot seat“ innehat, bekleidet das Amt des Administrators und Moderators, konnte aber die Diskussion nicht in geordnete und konstruktive Bahnen lenken. 


Nach einer Gruppendiskussion über die Unterrichtstauglichkeit endete die Sitzung mit dem gewohnten Feedback.

Fazit

Die Vorteile des kooperativen Lernens sind in der Tat beachtlich: „hohe Involviertheit, aktive Verarbeitung, hohe Lernplanung und -kontrolle, hohe Motivation, Erweiterung des sozial geteilten Wissens und erhöhte Selbstorganisation“ lassen das Herz eines jeden angehenden Lehrers höher schlagen, ist doch der Begriff „Kompetenzerwerb“ Leitmotiv seines bildungswissenschaftlichen Studiums. Man sollte aber nie vergessen, dass kooperatives Lernen immer nur so gut ist wie die Gruppe, in der es stattfindet. Die Wunderwirksamkeit, die manchen „modernen“ Methoden nachgesagt wird (vorzugsweise von ihren Vertretern oder Entwicklern) ist verblüffend.
Eine Gruppe von Lernern, die auch ohne die elektronische Vernetzung die Vorteile des KL auszunutzen weiß, wird auch via Internet zu guten Ergebnissen kommen können. Die Erfahrung aus dem Schulunterricht lehrt aber leider, dass in jeder Lerngruppe zwei Parteien herrschen: die Fleißigen und die Nutznießer. Aus der Verantwortung der Gruppe gegenüber Leistung zu bringen, ist eine Form sozialer Intelligenz, oder, wenn man so will, sozialer Kompetenz. Diese lässt sich aber meiner Meinung nach viel eher in der face-to-face- Situation erwerben: als anonyme Forenbesucher einen problemlösungsorientierten, kollektiven Ehrgeiz zu entwickeln halte ich für schwierig. Das scheint mir ein wesentlicher Nachteil des NKL zu sein.

Ein weiterer Aspekt, den ich als Nachteil des NKL sehe, ist in dem Kanalreduktionsmodell beschrieben. Die direkte Kommunikation bei dem KL hat mir persönlich schon oft geholfen, weil sich der Effekt einstellt, Dinge dadurch zu begreifen, indem man sie anderen erklärt. Heinrich von Kleist hat dieses Phänomen in seinem Aufsatz „Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden“ beschrieben. Nötig hierzu ist aber die direkte zwischenmenschliche Kommunikation als Individuen sowie eine intersubjektive Vertrautheit der Teilnehmer, beides Faktoren, an denen es dem NKL mangelt.


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